Die Fotografin Lela Ahmadzai begleitet seit 2008 unterschiedliche Frauen in Afghanistan und hielt viele Momente und Geschichten in Portraits fest. Im Kurzinterview sprach sie über die Verbindung von Frauenleben und Politik und darüber, was sie an ihrem Langzeitprojekt so fasziniert.
WIR MACHEN DAS: Im Rahmen des Projekts „Strangers at Home“ hast du zehn Frauen portraitiert, die in Afghanistan für Gleichberechtigung kämpfen. Wie bist du an die Frauen herangetreten und wie hat sich die Arbeit mit ihnen gestaltet?
Lela Ahmadzai: Ich fahre schon seit 2003 nach Afghanistan und mit „Strangers at Home“ habe ich 2008 begonnen. Mich interessierte der Werdegang der Frauen in Verbindung mit dem Werdegang Afghanistans: Seit der Westen dort einmarschiert ist, habe ich beobachtet, dass die Frauen große Schritte machen und sich gut entwickeln können. 2008 war so ein Höhepunkt, an dem frau* und mann* gemerkt hat, dass es ihnen wirklich gut geht und sie auf eigenen Füßen stehen können. Trotzdem gab es immer wieder Diskussionen darüber, was passiert, wenn die westlichen Truppen wieder abziehen. Und da habe ich gemerkt, dass ich diesen Moment festhalten und portraitieren sollte.
Gefunden habe ich die Frauen während eines Projekts, dass von der VG-Kunst gefördert wurde. Ich war aufgrund aktueller Geschehnisse in Afghanistan und wollte möglichst unterschiedliche Frauen finden, die afghanische Frauenfußball-Nationalmannschaft war damals auch dabei. “Die ersten auf dem Platz” hieß die Ausstellung auf Deutsch, “A Woman‘s Goal” auf Englisch. Mit den zehn Frauen, die ich damals portraitiert habe, bin ich teilweise immer noch in Kontakt. Eine von ihnen – sie ist Parlamentsabgeordnete – habe ich sogar durchgehend bis heute begleitet. Sie ist auch Teil meines aktuellen Projekts, ich kenne sie nun schon seit 2008 und habe sie in längeren Abständen immer wieder getroffen. So kann ich ihre Stärke und die Entwicklung der Frauen, aber auch die Entwicklung der Politik dokumentieren.
Was war dir bei den Portraits besonders wichtig zu zeigen? Und was waren Herausforderungen, mit denen du dann in der Arbeit konfrontiert wurdest?
Es war manchmal schwierig das Vertrauen der Frauen zu gewinnen – obwohl ich selbst eine Frau bin und alles vertraulich behandelt habe. Ich habe ein Videointerview gemacht und die Frauen mehrmals besucht. Die Herausforderung ist, beim ersten Kontakt Vertrauen herzustellen, sodass sie mir erlauben, bei ihnen zu bleiben. Das habe ich dann meistens ohne Kamera, ganz persönlich angefangen. Eigentlich sind es ja ganz viele Frauen, die sehr stark sind und sich auch wie Fremde im eigenen Land sich fühlen, weil sie so riesige Entwicklungsschritte machen. Ich habe viele solcher Frauen getroffen, aber nicht alle konnte ich vor die Kamera bekommen. Manche sind auch besorgt und befürchten, dass sie sich damit in Gefahr begeben. Das ist nicht unbegründet. Die Situation hat sich leider verschlechtert und viele mussten das Land verlassen.
2011 wurden die Bilder zunächst in Deutschland und dann in Kabul gezeigt. Wie waren die Reaktionen auf die Ausstellung in Afghanistan?
Das verlief unproblematisch, denn wenn frau* und mann* so weit ist und die Protagonistinnen so lange begleitet hat, ist frau* und mann* selbst auch bereit und kann das sehr gut zeigen. Ausstellungen wie diese sind kein Problem, denn sie werden innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft gezeigt, z.B. in der deutschen Botschaft. Das sind immer eingeladene Gäste, sehr kontrolliert, so dass es gar keine große Debatte auslöst. Polarisierend ist es eher, wenn das ins Internet gestellt wird, so wie das aktuelle Projekt. Das erreicht viel mehr Leute als eine Festausstellung, auch in Afghanistan. Deswegen muss frau* und mann* schon von Anfang an gut überlegen, was passiert, wenn diese Bilder veröffentlicht werden. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich: Manche bewundern die Frauen, manche Frauen und auch Männer finden das total gefährlich. Aber die meisten Menschen, denen ich begegne, sind sehr offen, sehr bildungsorientiert, sehr demokratieorientiert. Ich habe aber auch andere Projekte gemacht, wie das zum Kandahar Massaker (Stille Nacht), an sehr abgelegenen Orten auf dem Land. Wenn ich da die Menschen treffe, sind die Sorgen nochmal anders. „Die Städterinnen, die können das ja machen, aber nicht unsere Schwestern und nicht unsere Mütter“, höre ich dann zum Beispiel. Das wird dann nicht so gern gesehen. Aber es gibt da natürlich auch Unterschiede innerhalb Afghanistans.
Was hat dich denn selbst an diesen Projekten beeindruckt oder bewegt?
Es ist ja im Grunde ein Langzeitprojekt, mit dem auch gegenwärtige Arbeiten von mir verknüpft sind. Was mich bewegt, ist die Herausforderung, die Probleme zu verstehen, sichtbar zu machen und verständlich für die Außenwelt darzustellen. Ich mag Projekte, die ein Gefühl von innen vermitteln und nicht nur diesen Außenblick zeigen. Die Herausforderung ist auch, dass ich in Deutschland lebe und hier studiert habe, hier dieses Handwerk gelernt habe und trotzdem möchte, dass die Besucher*innen in meinen Ausstellungen die Menschen in meinen Projekten wirklich sehen und nicht nur einen Blick von außen darauf haben. Häufig ist das so, wenn ich für Zeitschriften und Zeitungen Bilder liefere. Dann heißt es: „Habt ihr nicht ein Bild mit Burka?“ Ja, habe ich auch, aber das entspricht nicht der Situation, die ich wahrnehme. Ich möchte gegen die Klischees arbeiten. Das ist keine grundsätzliche Gegenposition, aber es ist eben eine ständige Herausforderung, Stereotype zu hinterfragen.
Es ist ja so ein bisschen Mode gewesen, Geflüchtete zu fotografieren, und das ist ja durchaus ambivalent. Wie gelingt es, als Fotojournalistin einen voyeuristischen Blick zu vermeiden?
Ein*e Fotograf*in ist immer in dieser Position, wenn der sich hinter die Kamera stellt. Ich hab meine eigene Taktik, um Voyeurismus zu vermeiden. Innerhalb von Langzeitprojekten gibt es die Möglichkeit, auch andere Perspektiven zu zeigen, mehr zu erzählen über die Protagonist*innen. Zum Beispiel habe ich die Parlamentsabgeordnete nochmal sehr ausführlich einbezogen und zu Wort kommen lassen. Dadurch befreit frau* und mann* sich ein bisschen von dieser Gucklochposition. Aber auf den Blick will ich gar nicht so sehr eingehen, das Problem ist aus meiner Sicht eher, was wir eigentlich alle vor Augen haben. Denn wir müssten blind sein, um nicht mitzukriegen, welche Umstände oder Schwierigkeiten die Geflüchteten haben, die zu uns kommen. Aber vielleicht wollen wir uns ja blind stellen.
Woran arbeitest du momentan?
Ich habe gerade ein Projekt abgeschlossen, dass auch auf meiner Website zu sehen ist. „Die Unbeugsamen. Vier Frauen in Kabul – ihr Alltag, ihr Kampf, ihre Träume.“ heißt es. Dieses Projekt hat fünf Jahre gedauert. Ich habe die vier über die ganze Zeit begleitet und es ist immer noch nicht komplett abgeschlossen. Das ganze Auf und Ab dieser Frauen habe ich miterlebt und zeige das sehr intim, auch zu Hause. Eine von ihnen ist Bäckerin, hat ein Kind und einen Mann, der Opiumjunkie ist. Und es bleibt die Frage, was passiert, wenn der Westen dieses Land komplett verlässt. Deshalb begleite ich diese Frauen weiter.
Ich bin auch in der Videoredaktion eines Projekts der Neuen Deutschen Medienmacher beteiligt, „Handbook Germany“. Dort arbeite ich sehr viel mit Syrer*innen und Afghan*innen, die neu hier sind. Es ist gut, den Austausch zu haben, ich vermisse zurzeit Afghanistan ein bisschen, weil ich jetzt ein halbes Jahr nicht mehr da war. Ich würde mich freuen, wenn ich bald wieder dorthin gehen könnte, aber es ist sehr unruhig dort. Für meine Projekte muss ich ohnehin Zeit vergehen lassen, ich brauche die Entwicklungen und wenn ich etwas fünf, sechs oder acht Jahre beobachte, dann brauche ich nicht jeden Monat da zu sein.
Ich habe in Deutschland mehrere kurzfristigere Projekte, aber Afghanistan und die Frauen – das ist mein Langzeitprojekt, für das ich brenne.
Dieser Artikel erschien zuerst beim Aktionsbündnis "Wir machen das". Der Originalbeitrag hier.
Lela Ahmadzai ist Multimedia-Journalistin und Fotografin. Sie wurde in Kabul, Afghanistan, geboren und wanderte mit 17 Jahren nach Deutschland aus, wo sie 2009 ihren Master in Fotojournalismus an der Hochschule Hannover erwarb. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin. Seit 2003 kehrt Lela Ahmadzai regelmäßig nach Afghanistan zurück, dokumentiert die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit Hintergründen von Konflikten, Kriegsverbrechen und dem Thema Gender. In dem dokumentarischen Multimedia-Feature „Stille Nacht“ porträtiert sie die Opfer eines Amoklaufes des US-Sergeants Robert Bales 2012 in Kandahar; das Feature wurde 2014 mit dem World Press Photo Award in der Kategorie Kurzfilmfeature ausgezeichnet. Lela Ahmadzai ist die Mitinhaberin des preisgekrönten Multimedia-Studios 2470.media. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht, u. a. in Der Spiegel, Stern, Los Angeles Times, Der Standart, Courrier International, BBC Pashto, Arte Future.
Mehr über die Fotografin Lela Ahmadzai und ihre Projekte findet ihr hier.
Und hier geht es zur Seite des Projekts Handbook Germany.